Achtsamkeit und Versöhnlichkeit

Achtsamkeit, oft als bewusste und nicht wertende Aufmerksamkeit für den gegenwärtigen Moment definiert, hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, insbesondere in der psychologischen Forschung. Ein Bereich, in dem Achtsamkeit untersucht wird, ist ihre Beziehung zur Versöhnlichkeit, also der Fähigkeit, anderen zu vergeben.

Verbindung zwischen Achtsamkeit und Versöhnlichkeit

Forschungsergebnisse zeigen, dass Achtsamkeit positiv mit der Fähigkeit zur Versöhnlichkeit verbunden ist. Verschiedene Studien haben festgestellt, dass sowohl Achtsamkeitsmeditation als auch trait-basierte Achtsamkeit mit einer erhöhten Tendenz zur Vergebung korrelieren. Diese Verbindung zeigt sich sowohl in der allgemeinen Vergebungsbereitschaft als auch in spezifischen Situationen, in denen eine Person einem vergangenen Fehlverhalten gegenübersteht (Karremans et al., 2020; Webb et al., 2013).

Mechanismen der Wirkung

Ein zentraler Mechanismus, durch den Achtsamkeit die Versöhnlichkeit fördern kann, ist die Perspektivenübernahme. Studien deuten darauf hin, dass Achtsamkeit die Fähigkeit verbessert, die Perspektive anderer einzunehmen, was wiederum die Vergebungsbereitschaft erhöht. Ein weiterer Mechanismus ist die Reduktion von Grübeln, was ebenfalls zu einer erhöhten Versöhnlichkeit beitragen kann (Karremans et al., 2020).

Herausforderungen und Kritik

Trotz der positiven Assoziationen gibt es auch kritische Stimmen, die darauf hinweisen, dass Achtsamkeit in bestimmten Kontexten negative Auswirkungen haben kann. Beispielsweise kann Achtsamkeit die moralischen Reaktionen auf eigenes Fehlverhalten abschwächen, indem sie das Gefühl von Schuld reduziert, was wiederum die Bereitschaft zur Wiedergutmachung verringern kann (Hafenbrack et al., 2021; Schindler et al., 2019). Diese potenziellen negativen Konsequenzen werfen Fragen über die Anwendung von Achtsamkeit in moralischen und zwischenmenschlichen Kontexten auf.

Achtsamkeit in der Praxis

In der Praxis wird Achtsamkeit oft in Verbindung mit anderen psychologischen Konzepten wie Mitgefühl und Dankbarkeit eingesetzt, um die zwischenmenschliche Funktion zu verbessern. Diese „Schwestern der Achtsamkeit“ sind wichtige Bestandteile der buddhistischen Psychologie und werden zunehmend in der modernen Psychotherapie integriert (Rosenzweig, 2013).

Achtsamkeit und Versöhnlichkeit in der Gesamtschau

Insgesamt zeigt die Forschung, dass Achtsamkeit eine vielversprechende Rolle bei der Förderung von Versöhnlichkeit spielen kann, indem sie die Perspektivenübernahme und die emotionale Regulation verbessert. Dennoch ist es wichtig, die potenziellen negativen Auswirkungen zu berücksichtigen und Achtsamkeit in einem breiteren Kontext zu verstehen, um ihre Anwendung in der Praxis zu optimieren (Karremans et al., 2020; Hafenbrack et al., 2021; Webb et al., 2013).

Studien zu Achtsamkeit und Versöhnlichkeit

Karremans, J., Van Schie, H., Van Dongen, I., Kappen, G., Mori, G., Van As, S., Bokkel, I., & Van Der Wal, R. (2020). Is mindfulness associated with interpersonal forgiveness?. Emotion. https://doi.org/10.1037/emo0000552

Hafenbrack, A., Lapalme, M., & Solal, I. (2021). Mindfulness meditation reduces guilt and prosocial reparation.. Journal of personality and social psychology. https://doi.org/10.1037/pspa0000298

Schindler, S., Pfattheicher, S., & Reinhard, M. (2019). Potential negative consequences of mindfulness in the moral domain. European Journal of Social Psychology. https://doi.org/10.1002/EJSP.2570

Webb, J., Phillips, T., Bumgarner, D., & Conway-Williams, E. (2013). Forgiveness, Mindfulness, and Health. Mindfulness, 4, 235-245. https://doi.org/10.1007/S12671-012-0119-0

Rosenzweig, D. (2013). The sisters of mindfulness.. Journal of clinical psychology, 69 8, 793-804. https://doi.org/10.1002/jclp.22015